M. Sommer u.a. (Hrsg.): Von Hannibal zu Hitler

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Title
Von Hannibal zu Hitler. „Rom und Karthago“ 1943 und die deutsche Altertumswissenschaft im Nationalsozialismus


Editor(s)
Sommer, Michael; Schmitt, Tassilo
Published
Extent
294 S.
Price
€ 50,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Matthias Willing, Marburg

Im Zweiten Weltkrieg sollte auch die Antike-Forschung einen Beitrag zum „Kriegseinsatz“ der deutschen Geisteswissenschaften leisten. Deshalb publizierte 1943 der Tübinger Althistoriker Joseph Vogt den Sammelband „Rom und Karthago“. Neun namhafte Spezialisten verschiedener Disziplinen widmeten sich der Aufgabe, den berühmten Konflikt zwischen den beiden Großmächten unter einer neuen Fragestellung zu betrachten, nämlich wie sich die „Rassenproblematik“ auf das machtpolitische Ringen ausgewirkt habe. Rund 75 Jahre später unternimmt eine gleichgroße Expertengruppe den Versuch, eine kritische Bestandsaufnahme dieses NS-Werkes vorzunehmen. Einleitend gibt Mitherausgeber Michael Sommer einen Überblick über das ideologisch motivierte Projekt im Rahmen der „Aktion Ritterbusch“1 und fasst die Ergebnisse seiner Kollegen zusammen.

Zum Auftakt der insgesamt zehn Aufsätze untersucht Dorothea Rohde, die einzige Frau im Team, das skrupellose Bemühen des bereits gut erforschten Althistorikers Fritz Schachermeyr, Karthago aus „rassengeschichtlicher“ Sicht zu beleuchten. Der Religionswissenschaftler Christoph Auffarth wendet sich anschließend den „Völker- und Rassenkämpfen im westlichen Mittelmeer“ aus der Feder von Fritz Taeger (Marburg) zu. Charakterisierte Karl Christ dessen Ausführungen als „wesentlich konventioneller, als sein Titel vermuten“ lässt2, kommt Auffarth zu einem diametral entgegengesetzten Ergebnis, da er eine Unterstützung von Hitlers Eroberungskrieg und des Genozids an den europäischen Juden zu erkennen glaubt. Seine vom Ursprungstext weitgehend losgelöste Interpretation kulminiert in der Vermutung, Taeger habe das Carthaginem esse delendam des alten Cato in das Jahr 1943 übertragen und verlangt, „England zu vernichten“ (S. 70). Der ehemalige Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, Hans-Joachim Gehrke, referiert den faktenorientierten Artikel von Alfred Heuß zu den staatlichen Strukturen Karthagos und Roms. Dabei geht er weder auf die Biografie noch auf das persönliche Verhalten in der Diktatur oder die NSDAP-Mitgliedschaft von Heuß ein. Leider möchte man sagen, da nur Heuß sich später zum Wiederabdruck seines Textes hinreißen ließ.3 Wenig erforscht sind Leben und Werk des Klassischen Archäologen Reinhard Herbig. Wie Martin Dennert zeigen kann, folgte Herbig in seinen kruden Ausführungen über punische Gesichtsmasken und andere Artefakte Fritz Schachermeyr und legte ein glühendes Bekenntnis zur NS-Ideologie ab.

Der Schweizer Protestant Matthias Gelzer, lange Zeit an der Frankfurter Goethe-Universität tätig, unterzog den „Rassengegensatz“ beim Ausbruch des römisch-karthagischen Krieges einer Analyse. Da er feststellte, dass die „Rasse“ bei den Konflikten „nicht die geringste Rolle“ gespielt habe, hat Christ den Aufsatz als „Schlag ins Gesicht für jede Art von primitiver Rassenoptik“ bezeichnet.4 In dieser Tradition steht auch die komplexe und äußerst umfangreiche Argumentation von Tassilo Schmitt. Demnach würde Gelzers Abhandlung eine „Sonderstellung“ (S. 105) einnehmen, die er als „Zwangsaufgabe“ (S. 147) übernommen habe. Durch die Erwähnung von Monografien jüdischer Gelehrter sei sich ostentativ gegen NS-Prinzipien gestellt worden. Anders als Schachermeyr habe er „Rasse“ nicht biologisch, sondern kulturgeschichtlich verstanden. Da sich Auffälligkeiten in der Gestaltung, scheinbare Fehler in den Belegen und vermeintliche Widersprüche diagnostizieren lassen, sei davon auszugehen, dass Gelzer ein Zeichen von subversiver Resistenz setzen wollte. Obwohl sich Mitherausgeber Sommer zustimmend äußert (S. 18), ruft diese Sichtweise erhebliche Zweifel hervor. Beispielsweise zitieren Taeger, Heuß, Herbig, Enßlin und Vogt ebenfalls Studien jüdischer Kollegen, darunter sogar ein Werk des 1942 ins KZ Theresienstadt deportierten Arthur Stein. Ein antinazistisches Alleinstellungsmerkmal liegt folglich nicht vor. Auch bedeuten die Teilnahme an der intensiven Vorbereitungstagung, die Abstimmung der programmatischen Beiträge, das wechselseitige Verweisen in Fußnoten sowie die wiederholte Verwendung des „Rassebegriffs“ eine Förderung des „braunen“ Projekts. Dass Gelzer den „Kriegseinsatz“ der deutschen Altertumswissenschaft generell befürwortete, lässt ein zweiter Artikel von ihm erkennen.5 Des Weiteren scheint es wenig plausibel, dass der konservative Schweizer mit seinem „Verwirrspiel“ (S. 133) die Fachkollegen täuschen konnte, das deutlich weniger gebildete Zielpublikum jedoch seine angeblich widerständige Konzeption erkennen sollte. Schließlich dürfte nach Kriegsende das Unterschlagen des Titels in der Publikationsliste für die amerikanischen Militärbehörden (S. 178) unmissverständlich darauf hindeuten, dass die Veröffentlichung eine politische Belastung darstellte, die man besser unerwähnt ließ.

Relativ knapp handelt Raimund Schulz den Karthago-Beitrag zum antiken Seekrieg von Franz Miltner ab, der nur auf den letzten beiden Seiten Komponenten der NS-Ideologie offen transportierte. Weit ausholend nähert sich Helmuth Schneider dem Aufsatz des Erlanger Althistorikers Wilhelm Enßlin zum Einfluss Karthagos auf die Staatsverwaltung und Wirtschaft Roms an. Am Ende der Expertise kommt Schneider zu dem überzeugenden Fazit, dass Enßlins Aussagen gerade im Kontext der rassistischen Fragestellung des Sammelbandes „eine deutliche Nähe zum Nationalsozialismus aufweisen“ (S. 229). Ohne eingehende Würdigung bleibt die Studie des Altphilologen Erich Burck (Kiel) über das Karthager-Bild in der römischen Literatur. Der Artikel von Joseph Vogt über „Das Puniertum und die Dynastie des Septimius Severus“ wird von Michael Sommer ausgewertet. Er gelangt dabei zu dem Resultat, dass Vogt zwar eine intellektuell brillante Analyse der römischen Herrschaftsverhältnisse vorgelegt, sie aber „mit rassenideologischen Dogmen zu einer verquasten Synthese verquirlt“ habe, deren Unhaltbarkeit dem Verfasser bewusst gewesen sein müsse (S. 245).

Die finale „Bilanz“ von Uwe Walter offenbart die Problematik der heterogenen Aufsatzsammlung. Die Frage nach den Motiven der Altertumswissenschaftler für die Mitarbeit an „Rom und Karthago“ lässt sich nicht individuell beantworten (vgl. den Ankündigungstext der Buchrückseite), da weder Protokolle der mehrtägigen Abstimmungskonferenz noch Erinnerungen der Beteiligten vorliegen. So kann Walter nur allgemein festhalten: „Geltungsbedürfnis, Ehrgeiz, Opportunismus, echte Überzeugung und die Verteidigung wissenschaftlicher Standards dürften bei jedem einzelnen Autor jeweils unterschiedlich wirksam gewesen sein.“ (S. 249) Verfasserauswahl und Themengestaltung 1942/43 bleiben ebenfalls ungeklärt. Die ungewöhnlich breite Rezeption internationaler Forschungen auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs findet kaum Berücksichtigung. Auch muss Sommers Beobachtung, dass der NS-Band nach 1945 scheinbar in Vergessenheit geriet (S. 10), relativiert werden. Ab 1950 erwähnte Taeger das Werk in den Neuauflagen seiner weit verbreiteten Gesamtdarstellung „Das Altertum“.6 In fast allen universitären Fachbibliotheken, einigen Nekrologen, den Schriftenverzeichnissen der Beteiligten, dem Wiederabdruck der Heuß-Studie 1995 sowie der Literatur über die Geschichte Karthagos tauchte das Kriegsprodukt ebenso auf wie in zahlreichen Abhandlungen von Karl Christ, Volker Losemann, Martina Pesditschek, Diemuth Königs, Johann Chapoutot, Martina Trapp und anderen. 1970 fasste der namhafte italienische Verlag L’Erma di Bretschneider sogar einen Nachdruck des rassistischen Originals ins Auge.7 Verwunderung löst außerdem die Bemerkung der Herausgeber aus, die über fünf Jahre (!) nach dem Vorbereitungstreffen 2013 das Erscheinen ihres Buches als „Wunder“ bezeichnen (S. 7), obwohl es weder Personen-, Sach- oder Ortsregister besitzt, noch ein Autor für den Part des Latinisten Burck gefunden werden konnte. Gerade aufgrund disparater Eindrücke dürfte der kollektive Rückblick lebhafte Kontroversen in der Forschung auslösen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Frank-Rutger Hausmann, Deutsche Geisteswissenschaft im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940–1945), 3. überarb. Aufl., Heidelberg 2007, S. 116–129.
2 Karl Christ, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1982, S. 208.
3 Alfred Heuß, Die Gestaltung des römischen und des karthagischen Staates bis zum Pyrrhos-Krieg, in: ders., Gesammelte Schriften in 3 Bänden, Bd. 2, Stuttgart 1995, S. 1010–1065.
4 Christ, Römische Geschichte, S. 208.
5 Matthias Gelzer, Caesar, in: Helmut Berve (Hrsg.), Das neue Bild der Antike, Bd. 2, Leipzig 1942, S. 188–199.
6 Fritz Taeger, Das Altertum. Geschichte und Gestalt, 4. überarb. Aufl., Stuttgart 1950, S. XV (vgl. 5. Aufl., Stuttgart 1953; 6. Aufl., Stuttgart 1958).
7 Martina Pesditschek, Barbar, Kreter, Arier. Leben und Werk des Althistorikers Fritz Schachermeyr, Bd. 1, Saarbrücken 2009, S. 355f.

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